Heidi Sill

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Grube + Pendel

Die Gratifikation der Akteure in den Zeiten der Inquisition
deutsch

PRESSEMITTEILUNG

Berlin, 11. Juli 2003

Sehr geehrte Damen und Herren,

Kunst ist keine Werbung, und Werbung ist keine Kunst, so hilfreich es für die Werber wäre, wenn sie sich ein wenig mit Kunst-Kult schmücken könnten. So leicht aber ist die Kunst nicht zu haben. Noch immer sucht sie Autonomie gegenüber den verschiedenen Interessenten, die an ihr herumzerren, wie zerstrittene Partner am Scheidungskind. Die Politik will mit Kunst Regionalwerbung machen. Die Immobilienanalysten des Deutsche Bank Research sehen in der Kunst einen „Attraktivitätsfaktor“ für ihre Investitionen. Und trickreiche Event-Designer machen sich das gute Image der Kunst zunutze, um öffentliche Aufmerksamkeit zu erzeugen. Kann die Kunst da autonom sein?

Zum Glück, könnte man sagen, hat die Kunst Beschützer. Die Kunstmanagerarrangieren Ausstellungen, schreiben Kataloge und veranstaltenPressekonferenzen. Kurator heißt Vormund. Die Kunst hat also dieKuratoren als Aufpasser und gute Hirten. Hilft das ihrer Autonomie?

Die Künstlerinnen und Künstler haben an diesem Schutzgeschäft zunehmendZweifel. Ihre Werke finden sich in riesigen Gruppenausstellungen wieder,weil nur noch riesige Gruppenausstellungen so viel Publikum anziehen,dass sich für Immobilienmakler, Kulturstadträte und Kuratorenkarrierendas Ausstellungsgeschäft lohnt. Das individuelle Werk wird zur Füllmassegroßer Parcours, deren Sinn und Zweck in den Hintergrund tritt.Abgesehen davon, dass Kunst hübsch anzusehen ist: Was bewirkt sieeigentlich im Massengeschäft? Was erreicht dieser labile Charakter Kunstnoch, wenn man ihn auf bequeme Konsumierbarkeit trimmt? Ist es einZufall, wenn von Wirkung in den Presseverlautbarungen keine Rede mehr ist?

Die aus Nürnberg stammende und in Berlin lebende Künstlerin Heidi Sillhat aus dieser Lage ihre ganz eigenen Konsequenzen gezogen und – nichtohne Ironie und Sarkasmus – Hilfe bei den Experten gesucht. In einerMischung aus herausfordernder Abtretungsurkunde und trojanischem Trickhat sie die Kunstautonomie Deutschlands führenden Werbeagenturenangeboten und um ein Projekt mit garantierter Wirkung für den ErlangerMuseumswinkel gebeten. Bedingung: Der Ausstellungsetat von 500 Euro darfnicht überschritten werden.

Die Agentur Jung v. Matt, ein Werbekonzern mit 287 Mio. EuroJahresumsatz und 496 Mitarbeitern hat sofort reagiert und der Kunstprofessionelle Amtshilfe geleistet. Oliver Voss, bei Jung vonMatt/Alster Geschäftsführer für Kreation, hat das Dogma Wirkungironisiert  und an den Wänden zwei überlebensgroße Porträtspositioniert. Auf Hochglanzfolie sehen den Besucher Michael Jordan,amerikanische Basketball-Legende zu Lebzeiten, und Jesus an. IhreMedienwirkung und ihr Lebensstil werden auf einer großen Tafel wie fürein Fanmagazin verglichen. Jordan übertrifft die Reichweite von Jesusdemnach um 30 %.  Das klingt nach einer skeptischen Kritik desWirkungsdogmas und ist doch ein Trick. Denn mit ihrem Vergleich klebendie Kreativen aus Hamburg nicht nur die bekanntesten Gesichter an dieWand, die man finden kann. Sie spielen auch mit der Provokation. UndProvokation – ist Wirkung. Ist sie auch Kunst?

Heidi Sills These ist es, dass Jung von Matts  – radikal-ironische –Vergötterung der Wirkung die ideale Kunst für eine Gruppenausstellungdieser Größenordnung ist. Oliver Voss und seine Kollegen verfolgen genaujene Strategie, mit denen sich die Kunst der letzten zehn Jahre in denGroß- und Gruppenausstellungen ihre Aufmerksamkeit gesichert hat. StrebtKunst in der Massenkonkurrenz nicht vor allem Effekte an? Sind Jung vonMatts Jesus und Jordan nicht genau die Exponate, die eineGruppenausstellung mit 50 Positionen braucht, um wahrnehmbar zu sein?

Die Künstlerin kombiniert in konzeptueller Zusammenarbeit mit demBerliner Publizisten und Kritiker Gerrit Gohlke die Werbung mitliterarischen und essayistischen Texten, die sie in einem abgeteilten,kleineren Separee des Ausstellungsraums präsentiert. Dort beschreibenAuszüge aus einer Schauergeschichte Edgar A. Poes einInquisitionsgefängnis, dessen Wände sich immer enger um den Gefangenenschließen. Dort stellt die Kunst letzte Fragen, während vorn die Werbungkorrekt die Rolle der Gruppenausstellungskunst ausfüllt.

Die Künstlerin fordert mit ihrer Arbeit nicht nur dazu heraus, dieWirkungsfrage neu zu stellen. Sie leitet diese Frage auch an dieAusstellungsmacher weiter. Welchen Unterschied macht es unter 50Positionen, womit man Aufmerksamkeit weckt? Welche Vorstellungen habendie Kuratoren von der Wirkung der Kunst?

Noch steht die Wirkung aus.

 


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updated 2003-12-17
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