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Hans-Jürgen Hafner
Trotzdem trotzdem
Sich heute und ausgerechnet im Rahmen einer zeitgenössischen künstlerischen Praxis positiv auf die Romantik zu beziehen, meint mit ‚positiv’ in der Regel ‚pragmatisch’: solche Bezugnahmen sind im Prinzip eine Form der Rosinenpickerei, die das ästhetische und historische Projekt Romantik auf Stil und Attitüde, style und Typ verkürzt und als Klischee reproduziert. Dieses Klischee ist nach wie vor populär, scheint gut verständlich und kann entsprechend effizient ausgebeutet werden, weil es gängige Vorstellungen vom Künstler als Genie, als Ausnahmefigur oder gar Rebell bestätigt und die Erwartungen befriedigt, nachdem Kunst irgendwie ‚anders’ als der Rest der Welt, sprich: das alltäglich Normale, zu sein oder zumindest irgendwie danach auszusehen hat. Das passt gut in die neoliberale Kampfzone. Und zeigt den Spielraum der Kunst heute an – als Summe aller möglichen einst höherer und niedererer Künste, Subkulturen inklusive –, wenn ihre Produkte zum "Freizeitangebot des als Erlebnisgesellschaft verbrämten Spätkapitalismus" (Roger Behrens) geworden sind. Es bestätigt Adornos grundlegende Skepsis angesichts der gesellschaftliche Verfasstheit der Kunst seit der Moderne, die apriorisch immer schon verwaltet und verwertet, die Frage, ob sie aktuell überhaupt noch möglich ist, quasi nur aus der Retrospektive heraus geltend machen kann, mit der Romantik als Sprungbrett; O-Ton Adorno: "Die Frage entzündet sich an dem, was sie" – die Kunst – "einmal war."
Das sind, in die Praxis übersetzt, die schwierigen Voraussetzungen für eine Kunst, die etwas anderes sein will als bloß ein Zeichen ihres Kunstseins unter den gegebenen, vollumfänglich administrierten und kapitalisierten Bedingungen, in deren Dekor sie aufgeht. Und entsprechend sieht eine Kunst aus, die aus diesen Bedingungen das Beste machen will. Da sind wir, ratzfatz, etwa bei den genialisch/technokratischen Rückverzauberungen im Stile Ólafur Elíassons und seiner im Malstrom von Technikeuphorie, Abenteuertourismus, Social Media-Inszenierung und ökologischer Krise surfenden Schüler. Oder kommen beim Künstlertypus raus, bei dem Kunst und Künstlersubjekt á la Jonathan Meese in eins fallen; als ‚echt schräg’ bestaunte Blaupausen für Kunstsatiren im „Tatort“-Format.
Keine Romantik ohne Tücken. Es heißt schon mancher wäre Künstler geworden, nachdem er Kirk Douglas in der Rolle von Vincent van Gogh in „Lust for Life“ gesehen hat. Es gibt schlimmere Motivationen. In anderen Worten, ganz ohne Romantik wird es in der Kunst kaum je abgehen – und ist es vermutlich nie. Dies legt zumindest ein kurzer Blick auf die interessanten Antinomien nahe, die das Konzept Romantik überhaupt erst hervorgebracht und formatiert haben, und die nachwirken bis in seine letzten, aktuellsten Verästelungen, zu finden vielleicht weniger in einschlägigen Museumsblockbustern, sehr wohl aber auf Netflix und Bandcamp. Gegensätze aufheben, Widersprüche überwinden zu wollen sind wichtige, zweischneidige und eben nicht so einfach umzusetzende Vorhaben. Die Absicht Philosophie und Poesie zu versöhnen, Denk- und Warenform in ihrer Unvereinbarkeit aufeinander zu hetzen, den Mythos zu modernisieren sind Projekte, die zu jeder Zeit zu begrüßen wären. Indes könnte ein après-romantisches Lehrstück sein, dass die Relevanz eines künstlerischen Vorhabens sich nicht danach bemessen lassen muss, ob es ganz oder nur in Teilen verwirklicht wird und würde auch nicht davon beeinträchtigt, wenn die Umsetzung eines solchen Vorhabens von Anfang an zum Scheitern verurteilt, a priori aussichtlos ist. Das sind, bezogen auf den aktuellen Grad der gesellschaftlichen Vereinnahmung von Kunst, vergleichsweise gute Nachrichten – und adressierte vor allem uns und unsere Erwartungen: was wir uns als Kunst anschauen, wie wir sie sehen wollen.
„Post Ghost“ nennt Lutz Braun seine erste Einzelausstellung in der Galerie Sima. Und er verbindet sie mit einem Manöver, das vor dem geschilderten Hintergrund wie eine Donquichotterie erscheinen mag. Nach eigenem Bekunden will Braun mit dieser Schau "der Romantik den Rest geben" und zwar, wie er sagt, aus zwei Gründen: Die Romantik zu erledigen wäre ganz in ihrem Sinne – wir ergänzen, als mit dem Bürgertum des 19. Jahrhunderts und seiner Kultur bis zur Ideologie gesteigertes, historisches und ästhetisches Projekt inklusive seiner fatalen Nachwirkungen. Zweitens betrifft es Brauns eigene Verstrickung ins Romantische, die sich in seiner Bildwelt widergespiegelt findet und als Spirit – oder Ghost? – Leben und Werk zu verweben scheint. Das bisherige Output des in Berlin lebenden Künstlers umfasst Bilder, großenteils Gemälde und Zeichnungen sowie gelegentliche Objekte – und man könnte Gefahr laufen, diesen Arbeiten einen Hang zum Romantischen attestieren. Das betrifft einmal, was diese Bilder zeigen, wovon sie handeln. Oft sind das ebenso fantastische wie instabile Motive, die, sobald sie ihre Form gefunden haben, aufs Detail scharfstellen, schon wieder zu zerfließen, in sich zu kollabieren drohen; oder gezielt zum Kippen gebracht werden? Dabei tauchen regelrechte ‚Gesichte’ auf – oft in Landschaften gebettete traumhafte Szenerien, die mit mehr oder weniger Kontur ausgeführt von seltsam transluzenten Figuren- und Dingkonstellationen bevölkert sind; Bilder, die, vielleicht zu schnell, Zuschreibungen wie ‚surreal’, ‚psychedelisch’ oder wenigstens spooky auf den Plan rufen – Deutungsmuster, die bekanntlich nicht weiterhelfen. Es betrifft zweitens, und trägt unmittelbar zur Wirkung dieser Bilder bei, wie und woraus sie gemacht sind. Da wird nämlich bemalt, was gerade zur Hand ist – egal, ob Leinwand, Holzplatte, ein Stück Teppich; Papier dient in jeder Form und Sorte für Zeichnungen, die sich nicht unter einen bestimmten Stil, ein Thema rubrizieren lassen; die sich in ihrer Vielfalt auch nicht auf eine, sofort wiedererkennbare Handschrift beschränken und ebenso wenig auf eine Sorte Stift, Kreide oder sonstige Farbquelle – das vielleicht auch, weil es mitunter flott gehen muss, wenn eine Absicht, ein Impuls zur Form und daraus wiederum ein Bild, eine materiale Sache wird.
Indes bezeugt derjenige nicht wenig Idealismus, wer solcherart eigenhändig hergestellte Bilder und Objekte in einer Galerie herzeigt und davon ausgeht, diese nicht nur zu verkaufen sondern diesen Bildern und Objekten als künstlerische Arbeiten und Dingern ‚mehr’ oder ‚anderes’ zuzutrauen als einfach nur Träger ihres behaupteten/erwarteten Kunstseines zu sein. Man könnte sagen, Künstler sind halt so. Doch auch und gerade sie müssen sich damit klarkommen, dass die Reduktion der Kunst zur Tautologie eine strukturell notwendige Operation ist, auf dem das heutige Konzept der Kunst als Effekt ihrer Modernisierung fußt. Auf dieser Tautologie baut das zentrale Verkaufsargument auf, mit dem Kunst ihren Preis als Ware rechtfertigt und der ihr Wert garantiert: Sie ist eine Ware, die ihren Wert dadurch sichert, dass sie unter dem Banner ‚Kunst’ segelt. Damit sind Wert und Kunst gleichzeitig derart entkoppelt und so aufeinander bezogen, dass es regelrecht egal – und höchstens eine Frage für die Preisfindung oder persönliche Eitelkeiten – ist, wie ein Bild oder sonst eine künstlerische Arbeit aussehen, auf welche Weise sie gemacht sind und worum es darin, jenseits der Kunst, vielleicht auch noch gehen könnte. Unter uns: für eine entzauberte Welt ist das ganz schön viel Zauber, der noch dazu kollektiv produziert werden muss, um so wirksam zu sein, wie er ist. Da plötzlich gewinnt „Post Ghost“ noch einen ganz anderen Sinn. Sollte es nicht darum gehen, der Romantik in dem Sinn den Rest zu geben, dass wir in unserer Rolle als Adressaten der Kunst – statt unser Rückverzauberungsbegehren wieder und wieder an Kunst und Künstler zu richten – bei uns selbst, unseren eigenen Erwartungen anfangen? "Post Ghost" könnte den geeigneten Schauplatz abgeben, um sich staunend die Augen zu reiben. Staunend deshalb, weil auch vorher schon kein Geist im Raum war – aber jede Menge interessanter Bilder. Und weil die Widersprüche dennoch nicht so einfach weggehen wollen.
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updated2019-02-07