Pressemitteilung zur Ausstellung /
press release of the exhibition
"AMORE"
Ort / location: | Galerie Sima, Hochstrasse 33, 90429 Nürnberg |
Eröffnung / opening: | Dienstag, 16. Februar 2016, 19 – 21 Uhr |
Dauer der Ausstellung / exhibition period: | bis 27.4.2016 |
Öffnungszeiten / opening times: | Di / Mi 17 - 20 Uhr und nach Vereinbarung |
Pressetermin / press conference: | Dienstag, 16. Februar 2016, 11 - 12 Uhr |
Die Künstlerin wird anwesend sein | |
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Zu den Arbeiten von Claudia Kugler
Wenn man sagte, Claudia Kugler, arbeitete im Grenzbereich oder an der Schnittstelle zwischen Kunst und Design, ist damit viel und zugleich gar nichts gesagt: ziemlich wenig jedenfalls über ihre spezifische Art zu arbeiten, möglicherweise jedoch gar nicht so Unwesentliches über den aktuellen Zustand der Institutionen Kunst und Design, denen offenbar immer noch verschiedene Geltungsbereiche und auch unterschiedliche Positionen in der Gattungshierarchie zugewiesen werden: sonst wäre es schlicht obsolet, heute überhaupt noch von Grenzbereichen, Schnittstellen und Übertretungen zu sprechen.
Die Aufhebung der Grenze zwischen Kunst und Gestaltung ist bekanntlich eine alte Utopie, mit der sich die Überwindung eines bourgeoisen Kunst- und Gesellschaftsverständnisses ebenso verbindet, wie die romantische Vorstellung vom unentfremdet arbeitenden Künstler als Gegenmodell zu Fließbandarbeit und anderer sinnentleerter Tätigkeit. Die Forderung nach einer integralen Verbindung von Kunst und Gestaltung ließ sich jedoch nur zu einer Seite hin auflösen und sollte entweder zu einer völligen Abschaffung der Kunst führen oder aber – im Gegenteil – zu einer Verkunstung der alltäglichen Lebenswelt - je nachdem, aus welcher Richtung man sich der Problematik näherte: Produktionisten einerseits, Gesamtkunstwerker andererseits. Auch das ist hinlänglich bekannt und hat, bei Licht betrachtet, zu nicht viel geführt. Die gedanklichen Verstrickungen – denn oft haben sich die beiden Seiten bis zur Ununterscheidbarkeit angenähert – sind historisch zwar interessant, teils sogar amüsant, bringen uns aber in Zeiten, in denen der Künstler sowieso nur mehr sehr bedingt als role model taugt und auch die bildenden und angewandten Künste nicht mehr als utopisches Idealbild gelten können, nicht weiter.
Mit der Entdeckung des Hybriden in den 1980er Jahren konnte die Aufhebung der Gattungsgrenzen zudem gegen die Reinheits- und Trennungsideen der Moderne in Anschlag gebracht werden. Dies ging Hand in Hand mit der Erkenntnis, dass auch die hohe Kunst nicht ohne Auftraggeber, Marktorientierung etc. zu machen sei, sprich, dass die reinkünstlerische Idee ohnehin ein Phantasma darstelle und man sie daher auch gleich ganz aufgeben könne. Auch dieser antiidealistische Impuls knüpft an die beschriebenen Überschreitungsphantasmen an. Gebracht hat er ebenfalls nicht viel, da heute wie vielleicht so stark wie nie zuvor, die ‚Reinheit‘ der Kunst, ihre Autonomie, als eine Sphäre anerkannt werden muss, die trotz allem einiges möglich macht. So sind wir doch letztlich alle dankbar, dass es sie gibt, alle die Kunsträume und -vereine, die Galerien, Messen und Märkte, die Magazine und Kritiker, da sie bestimmte Diskurse – und diese finanziell gestützt durch öffentliche Gelder oder die Investitionen des Marktes – überhaupt erst zulassen. Die Institution Kunst scheint also gar nicht mehr so hassenswert, als dass man sie durch Gestaltung ersetzen müsste.
Es macht also möglicherweise schlicht keinen Sinn mehr, die Trennung von Kunst und Gestaltung weiterhin attackieren oder aufheben zu wollen, vielmehr kann es wohl nur mehr darum gehen, Praktiken zu etablieren, die versuchen, quasi mit einem Bein im anderen Terrain stehend, mit größtmöglicher Reflexionsschärfe das jeweilige Feld zu sondieren, auszureizen, und dieses damit möglicherweise proaktiv-subversiv umzuformen in etwas, das vielleicht doch nicht nur das bestätigt, was ohnehin schon besteht.
Auch Claudia Kugler geht es wohl weniger darum, mit ihren Arbeiten die Grenze zwischen Kunst und Gestaltung gezielt aufzuheben. Vielmehr agiert sie in beiden Feldern: der ‚freien‘ Kunst, also auf dem Feld der Institutionen, der Galerien, dem Kunstmarkt; sowie der ‚angewandten‘ Kunst, als Grafikerin auf dem Feld der Kunden, Aufträge, Drucksachen, Webseiten und Kataloge. Nun heißt das aber gerade nicht, dass sie ihre Grafik künstlerisch ‚aufwerten‘ oder umgekehrt, ihre Kunst durch die Einbeziehung angewandter, populärer Elemente auf smarte Weise ‚lower’ machen wollte, sondern beides steht eben auf gleicher Stufe und je seinem Feld nebeneinander (und das heißt nicht: „auf Augenhöhe“, denn das implizierte erneut, es hätte einmal eine Hierarchie gegeben, die nun überwunden wäre!).
Und auch, wenn die Regeln auf beiden Gebieten unterschiedliche sind, ist der Werkzeugkasten, in den sie jeweils greift, ein recht ähnlicher: Oberflächen, die im Gegensatz von Hard Edge und Farbverlauf eine diffuse Unbestimmtheit erzeugen; Buchstaben, die nicht immer als ganze Wörter gelesen werden können und damit klare Sinnzusammenhänge verweigern; merkwürdige Formineinanderblendungen, die zu räumlichen Effekten führen, die man fast als optische Täuschungen wahrnimmt; und immer wieder die Verschränkung von Elementen, die vordergründig, also stilistisch betrachtet, nicht zusammenpassen; Brechungen also. Inhaltlich macht das dann freilich schon Sinn: „Warten“ und Katze, „Neu“ und 2015, „Januar“ und Tropfen.
Gemeinsam ist ihren Arbeiten zudem ein hoher Grad an Flachheit, Virtualität und Computergeneriertheit, man könnte sagen: eine Skepsis gegenüber der manifesten Form, sowie eine gewisse Skepsis am Wort, an der festen Bedeutung, die durch formale Fragmentierungen und Neuordnungen, aber auch durch Doppeldeutigkeiten, ad absurdum geführt wird. Ihre Arbeiten verflüssigen gleichsam die Form als Bedeutungsträger, machen sie liquide und offen für andere Lesarten. Wortspiele bilden ornamentale Arabesken, wie in „Standard and Poor’s“ die übereinander geblendeten Wörter „Geiz“ und „Gier“, und potenzieren sich ins Unendliche, wenn sich, wie bei eben jener Arbeit, der Preis des unlimitierten C-Prints je verkaufter Auflage verdoppelt. Der Verkaufspreis als nx als eine spekulative Preisentwicklung, wie sie Kunst- und Finanzmärkte in gleicher Weise bestimmt.
Die beschriebene Skepsis gegenüber dem Affirmativen, der Behauptung, dem Gültigen oder dem Manifesten muss sich dann schlüssiger Weise genauso in der Gestaltung einer Website artikulieren, in der der Name des Künstlers eben nicht mehr sinnvoll als Bold-Block-Vignette über allem stehen kann, sondern schon fast zwingend in Einzelbuchstaben aufgelöst werden muss. Diese Skepsis ist aber nicht gleichbedeutend mit Unschärfe oder Verweigerung, sondern im Gegenteil mit einer präzisen Analyse unserer gegenwärtigen Alltagskultur, die letztlich ebenfalls kaum mehr ‚manifest‘ genannt werden kann, aber dennoch hochreale Effekte, wie Finanzblasen, Öl- und Schuldenkrisen, hervorbringt.
Auch deshalb macht eine Trennung zwischen Kunst und Gestaltung, die man mit der Forderung nach ihrer Überwindung nur ex negativo bestätigen würde, eben allenfalls auf der institutionellen Ebene, die ja irgendwie weiterlaufen will und muss, nicht aber auf allgemeiner Basis Sinn; die Welt ist zu komplex, um ihr dichotomisch begegnen zu wollen. So lassen sich auch viele ästhetische Strategien heute gar nicht mehr eindeutig zuordnen und wollen es auch nicht. Blogging, Merchandising, Publishing etc. sind integrativer Bestandteil vieler, jüngerer künstlerischer Projekte. Sie agieren dies in der Regel auf dem Terrain der Kunst aus, da diese qua ihrer Autonomie die nötige Offenheit dafür bereithält. Aber auch dies wird möglicherweise reale Effekte zeitigen - und wenn es eine Website ist.
Daniela Stöppel
Dieser sowie der Text Nachrichten aus dem Als-Ob Kontinuum von Manuel Graf erscheinen anlässlich der Ausstellung AMORE von Claudia Kugler in der Galerie Sima, Nürnberg. Es ist ihre vierte Einzelausstellung in der Galerie.
Claudia Kugler (Jg. 1969) arbeitet als Künstlerin und betreibt seit 2015 das Grafik-Büro CMK in Düsseldorf.
Sie war und ist an zahlreichen Einzel- und Gruppenausstellungen sowie Filmscreenings beteiligt und hat in Berlin, Nürnberg und Stuttgart verschiedene eigene kuratorische Projekte realisiert.
Manuel Graf (Jg. 1978) ist Künstler und lebt in Düsseldorf.
Daniela Stöppel ist Kunsthistorikerin und Kuratorin am Kunstraum München.
Nachrichten aus dem Als-Ob-Kontinuum.
Der erste Tag im Büro. C sitzt vor einem Bildschirm und zeichnet zwei Linien, eine geschwungene und eine gerade. Die Linien reizen ihren psychischen Organismus, der schnell darauf antwortet und damit beginnt die Linien mit eigenen Kategorien zu umspinnen. So vorbereitet, gelingt die Angiogenese, der Prozess bei dem durch Spaltung eines bestehenden Blutgefäßes ein weiteres wächst. Die mit mentalen Säften umspülten Linien spalten sich von ihren Vorgängern am Bildschirm ab und schwimmen schwerelos in C´s Willen.
C´s Denken operiert mit den Linien und bedient sich dabei Verfahren und Freiheiten, die ihrerseits ihren Ursprung in den 1960er Jahren haben. Als es noch schreibmaschinengetippte Manuskripte gab, veränderte man die Abfolge eines Textes, indem man die Blätter quer abschnitt und sie auf einem vollständigen Blatt, links und rechts, mit Büroklammern befestigte. So waren die Abschnitte frei nach oben und unten zu verschieben. Die Computerbefehle Copy, Cut und Paste erschienen 1967 in Text-Software. 1980, schließlich, gab es die Möglichkeit beliebige Textteile und Bilder zu verschieben oder in andere Programme zu versetzen. Damit entsteht der Vorläufer eines einheitlichen mentalen Arbeitsraums, der die Grenzen zwischen verschiedenen Anwendungen aufhebt und ihre spezifischen Werkzeuge von ihrem ursprünglichen Zweck emanzipiert.
In 3D-Software kann ein Objekt oder auch nur ein beliebiger Teil seiner Oberfläche markiert, kopiert und an anderer Stelle eingesetzt werden als wäre es ein Buchstabe oder ein Textteil. Umgekehrt kann sich eine Linie oder ein Wort, ohne eine eigene Ausdehnung oder Materialität zu besitzen, einer Choreographie unterziehen, die wir sonst nur vom Blick durch die Kamera auf die physische Welt kennen. Licht fällt auf das Wort und wirft Schatten, der vordere Teil des Wortes befindet sich im Focus während sich die letzten Buchstaben in der Tiefenschärfe auflösen, ein Lichtreflex überstrahlt einen Teil der Buchstaben, das Wort franst am Rand rot und grün aus. Was ursprünglich ein Abbildungsfehler optischer Linsen war, wird zu einem emanzipierten Effekt in der Software und zu einer weiteren Kategorie in C´s Kopf.
Die Methode der unberechtigten Übertragung ist so alt wie der menschliche Geist. Leibniz und Newton, die die Fläche unter einer Kurve „unberechtigterweise“ als Summe unendlich schmaler Rechtecke behandelten, konnten so bis dato unmögliche Rechenoperationen durchführen. Beide hielten ihre Methode ängstlich geheim.
In der Technikgeschichte gibt es Objekte, die lange vor ihrer späteren Funktion erscheinen. Beim steinzeitlichen Feuermachen mit einem Feuerbohrer und Fiedelbogen entsteht durch Abrieb eine Spirale aus Holz. Dieses Abfallprodukt, das nichts mit dem eigentlichen Feuermachen zu tun hat, schlägt dem menschlichen Geist die Funktion einer Metallschraube vor.
Neben Deduktion und Induktion gibt es einen Bereich der irregulären Methode des „Als-Ob“: des bewusst falsch Angenommenen, im Unterschied zur Hypothese, die wahr sein will. Operationen, die dem gewöhnlichen Verfahren widersprechen. Der verpönte Teil der Logik. Ein dynamisches Feedback zwischen innerer Not und äußerem Reiz, wie das Sandkörnchen, das in die Auster gerät und von dieser mit ihrer selbstproduzierten Perlmuttmasse überzogen wird. Wo die Sprödigkeit des Materials ein direktes Vorgehen nicht erlaubt, treten zwitterhafte, falsche Methoden auf, deren Nützlichkeit uns nicht den Sinn für das Richtige nehmen darf. Methoden, weg von impotentem Intellektualismus hin zum richtigen Handeln.
C´s zweiter Tag im Büro.
Manuel Graf
Weitere Informationen sind in der Galerie zu erhalten. / More information is available at the gallery.
zur Ausstellung / to the exhibition
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updated2021-04-10